Aufbruch
Kennzeichen der Vorklassik war das Aufbrechen der überlieferten Formen, die Erschütterung der Traditionen der abendländischen Musik. Es gibt keine Einheitlichkeit in dieser Epoche, die sich gerade durch ihre Vielfalt, ihren Aufbruchscharakter und ihre Widersprüchlichkeit auszeichnet.
Die Entwicklung verlief sehr vielschichtig. Die neuen musikalischen Ideen traten an verschiedenen Orten gleichzeitig und voneinander unabhängig hervor und sind personell nicht scharf zu umreissen. Neue Errungenschaften waren die Individualisierung des Instrumentalparts und die Dramatisierung des Klanggeschehens. Wichtig war nicht mehr vorwiegend die Struktur einer Komposition; besondere Bedeutung wurde nun dem Klang beigemessen.
War Musik bis ins Barockzeitalter vorwiegend adligen Kreisen und der Kirche vorbehalten, breitete sich im Zuge der Aufklärung das öffentliche Konzertleben stürmisch aus und zahlreiche Musikverlage wurden gegründet; das musikalische Wissen war nicht länger Wissensgut für Eingeweihte.
Ausdruck des Gefühls
Der neue „galante“ oder „empfindsame“ Stil wurde als Gegenpol zum „gelehrten“ Stil des Barock verstanden. Wichtig waren nun Natürlichkeit, Leichtigkeit, Einfachheit und eine leicht fassbare Harmonie. Das Pathos des Barock wurde vom unmittelbaren Ausdruck des persönlichen Gefühls abgelöst: „Das Herz ist gleichsam der Resonanzboden des grossen Tonkünstlers“ *
Man hatte neue Vorstellungen vom Ursprung und dem Wesen der Musik. War man früher der Meinung, sie sei durch die Nachahmung von Vogelstimmen und anderen Naturlauten oder von Engelsgesang entstanden und ihre Bedeutung bestehe darin, den Schöpfer zu loben, so ging man nun davon aus, dass die Musik in der Natur des Menschen gegründet sei. Die zentrale neue Erfahrung bestand darin, dass sich ein individuelles Ich in der Musik auszudrücken vermag.
Aufschwung der Instrumentalmusik
Wurde die Instrumentalmusik im Vergleich mit der Vokalmusik bis ins 18. Jahrhundert hinein als minderwertig angesehen, erfolgte nun der Aufschwung und die Entwicklung neuer Gattungen. Die Instrumentalmusik wurde nun als dem Gesang ebenbürtig oder sogar überlegen angesehen, weil mit ihr Gefühle ebenso gut oder besser ausgedrückt werden konnten als mit Worten.
Typisch für die neuen Freiheiten war die Entwicklung der Sinfonie, die sich aus der Opernsinfonia, dem dreisätzigen Einleitungsstück italienischer Opern, entwickelt hat. Sie verbreitete sich – vor allem durch das Wirken der Mannheimer Schule mit Johann Stamitz an der Spitze – rasch in Europa und wurde zur führenden Gattung der Orchestermusik. Andere Gattungen befanden sich in einer interessanten Experimentierphase mit mancherlei kleinen Ensembles, aus der erst später u.a. das Streichquartett hervorging.
Die Mannheimer Schule
Johann Stamitz, Franz Xaver Richter, Anton Filtz, Ignaz Holzbauer, Anton Stamitz und Joseph Toeschi gehörten zu den Komponisten der Mannheimer Schule, die unter der Regierungszeit Carl Theodors (1742-1799) ihre Blüte hatte. Ihre Musik wurde damals enthusiastisch gefeiert: "Kein Orchester der Welt hat es je in der Ausführung dem Mannheimer zuvorgetan. Sein Forte ist ein Donner, sein Crescendo ein Catarakt, sein Diminuendo – ein in die Ferne hin plätschernder Krystallfluss, sein Piano ein Frühlingshauch. Die blasenden Instrumente […] heben und tragen oder füllen und beseelen den Sturm der Geigen." *
Der Erfolg des Mannheimer Orchesters lag nicht nur in der Qualität der Musiker begründet, sondern ist auch auf die neue Art zu komponieren zurückzuführen, die den Klang und die Wirkung in den Vordergrund stellte. Die Komponisten der Mannheimer Schule entwickelten einen spezifischen Stil, der sich in bestimmten, oft wiederkehrenden Figuren der führenden Stimme manifestierte, den sogenannten "Manieren", beispielsweise der "Mannheimer Rakete" (in gebrochenen Intervallen aufschiessender Dreiklang). Sie haben diese ihnen zugeschriebenen "Manieren" zwar nicht alle selbst entwickelt, jedoch ist das, was man heute unter der Mannheimer Schule versteht, die Summe dessen, was im vorrevolutionären 18. Jahrhundert erfunden wurde.
Die Wiener Schule
Die Komponisten der Wiener Schule sind weniger gut gemeinsam zu beschreiben; ihr musikalisches Wesen ist nicht leicht zu umreissen. Charakteristisch für sie ist der Gegensatz von Ernst und Heiterkeit, von alt und neu, oft im selben Werk; neben "gelehrten" barocken Einflüssen sind auch innovative Züge festzustellen.
Die Symphonie in D-Dur von Georg Matthias Monn aus dem Jahr 1740 gehört zu den frühesten Zeugnissen der Entwicklung des neuen Instrumentalstils; sie hat bereits vier Sätze. Dennoch waren Monns Kompositionen zu seinen Lebzeiten kaum bekannt. Johann Georg Albrechtsberger war möglicherweise Schüler von Monn. Er war und ist auch heute noch hauptsächlich für seine Kirchenmusik bekannt.
* Christian Friedrich Daniel Schubart, Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst, 1777/87, herausgegeben 1809